Social Media und die Manosphere – Sind männliche Jugendliche in Gefahr?

Tanzchoreografien, Sportchallenges und Tiervideos: dafür ist die beliebte Kurzvideo-Plattform TikTok bekannt. Doch zwischen unterhaltsamen Videos finden sich auch Inhalte aus der sogenannten „Manosphere“. Sie reproduzieren antifeministische und maskulinistische Überzeugungen, die unter Umständen insbesondere für männliche Jugendliche attraktiv wirken können. Auch auf anderen sozialen Netzwerken wie YouTube oder Instagram finden sich Inhalte aus diesem Bereich. Doch was genau ist die Manosphere? Und inwiefern stellt sie eine Gefährdung für Kinder und Jugendliche dar?

Was ist die Manosphere?

Mit dem Begriff „Manosphere“ wird ein loses Netzwerk von Antifeministen bezeichnet, das dank moderner Technologien wie sozialer Online-Netzwerke in der letzten Zeit eine große Reichweite erlangen konnte. Die Ideen der Manosphere selbst sind aber nicht neu, sie reichen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts zurück.

Die Geschichte der Manosphere

Die ersten Ursprünge der Manosphere finden sich in den 1960er- und 1970er-Jahren in der damaligen Männerbefreiungsbewegung. Auch wenn die Anhänger der Bewegung anfangs noch auf die Unterdrückung der Männer durch traditionelle Geschlechterrollen aufmerksam machen wollten, so entwickelten sich die Überzeugungen schnell zu einer Kritik am Feminismus.
In den Jahren zwischen 2005 und 2008 erreichten dann die „Pick-Up-Artists“ (dt. Aufreiß-Künstler) große mediale Aufmerksamkeit in thematischen Internet-Foren. Sie suchten die Lösung des Problems darin, mithilfe von Erniedrigungs- und Flirtstrategien Frauen von sich zu überzeugen und damit unter Kontrolle zu bringen.
In den darauffolgenden Jahren verlagerte sich schließlich der Fokus auf die Men’s Rights Activists (dt. Männerrechtsaktivisten) als aktivste Bewegung der Manosphere. Diese waren wiederum davon überzeugt, dass in der modernen Welt nicht mehr Frauen das unterdrückte Geschlecht wären, sondern im Gegenteil nun Männer geschlechtsspezifische systematische Unterdrückung erfahren würden und ihre Rechte demnach zurückerobern müssten.
In diesem Zusammenhang entwickelte sich auch die Red-Pill-Ideologie, die sich metaphorisch am Film „Matrix“ orientiert. Mit dem „Einnehmen der roten Pille“ entscheiden sich die Anhänger somit symbolisch dazu, endlich aus einer ewigen Illusion zu erwachen und die vermeintliche systematische Benachteiligung von Männern anzuerkennen. Damit einher geht der Zugang zu weiterem Wissen, das der Öffentlichkeit verborgen bleibt. Die Erzählungen sind verschwörungsideologisch und häufig auch antidemokratisch aufgeladen.
Ende 2016 erlangten die „Incels“ (d.h. involuntary celibate men; dt. Männer, die unfreiwillig im Zölibat leben) als Teil der Manosphere bedeutende mediale Aufmerksamkeit. Diesen häufig jungen heterosexuellen Männern fehlt eine sexuelle Beziehung zu Frauen, die Schuld dafür suchen sie im Feminismus. Weil Frauen in der liberalisierten Welt vermeintlich übergroße Freiheiten bei der Partnerwahl haben, würden diese nur gezielt jene Männer auswählen, die den gängigen Idealbildern entsprechen. Incels behaupten, ihnen würde damit ihr natürliches Recht auf Sex, das jedem Mann zustehe, verwehrt werden. Den daraus entstehenden Hass und ihre Gewaltfantasien teilen sie auf sozialen Netzwerken.
Schließlich kamen zur Manosphere noch die „Men Going Their Own Way“ (dt. Männer, die ihren eigenen Weg gehen) hinzu. Diese haben dem Kontakt mit Frauen generell abgeschworen.

 

Die letztendlich bekanntesten Untergruppen der Manosphere sind:

  • die Pick-Up-Artists (dt. Aufreiß-Künstler)
    Sie geben Flirt- und Erniedrigungstrategien weiter, mithilfe derer Männer Frauen von sich überzeugen und zudem unter Kontrolle bringen sollen.
  • die Men’s Rights Activists (dt. Männerrechtsaktivisten)
    Sie sind davon überzeugt, dass in der modernen Welt nicht länger Frauen sondern Männer die wahren Opfer geschlechtsspezifischer systematischer Unterdrückung sind.
  • die Incels (d.h. involuntary celibate men; dt. Männer, die unfreiwillig im Zölibat leben)
    Sie haben keine sexuellen Beziehungen zu Frauen, wünschen sich diese aber. Den Grund für ihren Misserfolg suchen sie im Feminismus. Frauen würden angeblich aufgrund ihrer übergroßen Freiheiten bei der Partnerwahl nur jene Männer wählen, die den gängigen Idealbildern entsprechen. Den Incels würde damit ihr vermeintlich natürliches Recht auf Sex verwehrt bleiben. Aus diesen Überzeugungen entstehen nicht selten großer Hass und brutale Gewaltfantasien.
  • die Men Going Their Own Way (dt. Männer, die ihren eigenen Weg gehen)
    Sie haben dem Kontakt mit Frauen generell abgeschworen.

Was alle diese genannten Gruppen innerhalb der Manosphere verbindet, ist ihre Vorstellung davon, der Feminismus mitsamt der Emanzipation von Frauen wäre Schuld an ihrer als unglücklich wahrgenommenen Situation. Ihre frauenfeindlichen und nicht selten gewalttätigen Lösungsideen erstrecken sich dabei in einem breiten Spektrum, das von der Aberkennung der Gleichstellung der Geschlechter über die Manipulation von Frauen im Dating-Bereich bis hin zu Vergewaltigungen und Tötungen von Frauen reicht.

Die Manosphere auf TikTok

Die Manosphere spielt auch für den Jugendmedienschutz eine Rolle, weil die Akteure die potentiellen Vorteile von Online-Plattformen wie TikTok oder YouTube für sich erkannt haben. Insbesondere die Algorithmen der sozialen Netzwerke können ihnen dabei zur Reichweitensteigerung verhelfen.
Eine irische Studie untersuchte 2024 konkret, welche Rolle algorithmische Empfehlungssysteme auf YouTube Shorts und TikTok bei der Bewerbung von antifeministischen bzw. maskulinistischen Inhalten spielen. In den Ergebnissen zeigt sich deutlich, dass insbesondere dann vermehrt antifeministische Inhalte angezeigt werden, wenn die Nutzer*innen nach stereotyp „männlichen“ Themen wie Fitness-Content, Sport oder Videospielen suchten, die gerade für männliche Jugendliche interessant sein können. Dieser Effekt verstärkt sich umso mehr, sobald explizit nach Stichworten wie „Andrew Tate“ oder „Antifeminismus“ gesucht wird. Letztendlich waren nach zwei bis drei Stunden Nutzung der Plattformen die große Mehrheit der vorgeschlagenen Inhalte antifeministisch.

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Im Rahmen der Studie wurden zehn experimentelle Accounts angelegt, fünf davon auf YouTube Shorts und fünf auf TikTok. Von diesen fünf Accounts sollte jeweils ein Account einen 16-jährigen und ein Account einen 18-jährigen Jungen imitieren, der auf der Suche nach gender-normativen Themen (z.B. Fitness-Content, Sport und Videospiele) war. Zwei andere Accounts imitierten wiederum einen 16-jährigen und einer einen 18-jährigen Jungen, der aktiv nach Inhalten suchte, die in Verbindung mit der Manosphere standen (z.B. Andrew Tate, Antifeminismus). Der fünfte Account stellte einen Kontrollaccount dar.
Allen Accounts, ausgenommen dem neutralen Kontrollaccount, wurden maskulinistische und antifeministische (im weiteren Verlauf als „schädlich“ bezeichnete) Inhalte angezeigt. Durch das Ansehen der Inhalte verstärkte sich jeweils die Anzeigehäufigkeit. Insgesamt wurden den YouTube Shorts-Accounts mehr schädliche Inhalte angezeigt, diese machten 61 Prozent der gesamten vorgeschlagenen Inhalte aus. Im Vergleich dazu beinhalteten 34,7 Prozent der vorgeschlagenen Videos auf TikTok schädliche Überzeugungen in diesem Bereich.
Sobald ein Account Interesse an Inhalten im Bereich der Manosphere suggerierte, wurden Inhalte dieser Art schnell sehr viel häufiger angezeigt. Nach dem Ansehen von 400 Videos bzw. nach zwei bis drei Stunden Nutzung war die große Mehrheit der vorgeschlagenen Inhalte problematisch oder schädlich (bei TikTok 76 Prozent, bei YouTube Shorts 78 Prozent).

 

Der wohl bekannteste Akteur der Manosphere auf Social Media ist der frauenfeindliche Influencer Andrew Tate. Für seine Zielgruppe – überwiegend junge Männer – teilt er in öffentlichen englischsprachigen Videos seine Tipps zur Persönlichkeitsentwicklung. Darüber hinaus bietet er kostenpflichtige Kurse an, die den Männern dazu verhelfen sollen, verschiedene Lebensziele zu erreichen. Erkaufen kann man sich auch den Zugang zu geschlossenen Messenger-Gruppen, die unter anderem Hinweise zum schnellen Geldverdienen liefern sollen. Recherchen zeigen, dass das Geschäftsmodell dieser Gruppen in Anlehnung an die Loverboy-Methode die sexuelle Ausbeutung von Frauen vorsieht. Im ersten Schritt werden diese durch gezielte Manipulation vom Mann abhängig gemacht, um sie im zweiten Schritt zur Prostitution, z.B. auf OnlyFans zu zwingen. Zuletzt hat die britische Staatsanwaltschaft Anklage gegen Andrew und seinen Bruder Tristan Tate erhoben. Vorgeworfen werden ihnen Vergewaltigung, Menschenhandel, Körperverletzung und Kontrolle der Prostitution gegen Entgelt.
Aber auch im deutschen Sprachraum gibt es ein Pendant zum Geschäftsmodell der Tate-Brüder: das Netzwerk „ChampLife“. Journalist*innen des Kanals STRG_F berichteten in einer Reportage über das Vorgehen des Netzwerks und dessen Verbindungen zu Tate.
Die Bedeutung von Andrew Tate bei der Verbreitung seiner frauenfeindlichen Ideologie wird insbesondere in einer britischen Studie mit 16- bis 24-Jährigen deutlich. Die überwiegende Mehrheit der befragten Mädchen und Jungen kannten Tate. Während nur wenige Mädchen seine Inhalte als positiv bewerteten, fand die Hälfte der Jungen Tates Videos gut.

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In der Studie wurden 1.200 Teilnehmer*innen zwischen 16 und 24 Jahren befragt. Es gaben 79 Prozent der 16- bis 17-jährigen Jungen an, bereits Inhalte von Andrew Tate gesehen, gehört oder gelesen zu haben, 52 Prozent von ihnen bewerteten ihn positiv. Im Vergleich dazu hatten 68 Prozent der Mädchen im selben Alter von Tate gehört und nur ein Prozent von ihnen bewerteten ihn als positiv. Bei den übrigen 18- bis 24-Jährigen war Tate 74 Prozent der Jungen und 56 Prozent der Mädchen bekannt, seine Inhalte schätzten 44 Prozent der Jungen und neun Prozent der Mädchen als positiv ein.
Neben Kindern und Jugendlichen hat sich Tate auch bei Eltern einen Namen gemacht, wie eine weitere britische Studie zeigt. Von den über 2.000 teilnehmenden Eltern von vier bis 16-jährigen Kindern hatten 56 Prozent der jüngeren Väter (25 bis 34 Jahre) einen positiven Eindruck von Tate.

 

In Deutschland gibt es zwar noch keine Studien zur Bekanntheit Andrew Tates im Speziellen, dafür aber Untersuchungen zur deutschsprachigen Manosphere im Allgemeinen. In diesen wird erkennbar, dass sich deutschsprachige Inhalte aus der Manosphere zum größten Teil an internationalen frauenfeindlichen Netzwerken und deren Überzeugungen orientieren. Zudem sind alle Untergruppen der Manosphere (Pick-Up-Artists, Man’s Rights Activists, Men Going Their Own Way, Anhänger der Red-Pill-Ideologie, Incels) im deutschen Sprachraum vertreten, wenn auch unterschiedlich stark.

Was bedeutet das für den erzieherischen Kinder- und Jugendschutz?

Wenn auch nur vergleichbar wenig Daten zur Beliebtheit von Akteuren der Manosphere in Deutschland vorliegen, so sind insbesondere die Studien zur Bedeutung von algorithmischen Empfehlungssystemen auf TikTok und YouTube Shorts bei der Verbreitung antifeministischer Überzeugungen übertragbar. In diesem Sinne ist davon auszugehen, dass insbesondere männliche Jugendliche auf der Suche nach Vorbildern auf Social Media Gefahr laufen, auf antifeministische Inhalte zu stoßen. Weil diese vermeintlich einfache, orientierungsgebende Antworten auf komplexe Fragen in Bezug auf die männliche Identitätsausbildung liefern, sind Jugendliche zudem besonders empfänglich. Die häufig frauenfeindlichen, gewaltverherrlichenden und antidemokratischen Überzeugungen der verschiedenen Strömungen in der Manosphere können bei betroffenen Jugendlichen zu sozialer Desorientierung führen und ihre Entwicklung zu Kritikfähigkeit, Eigenverantwortlichkeit und zur Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen gegebenenfalls massiv beeinträchtigen.

Was können Fachkräfte und Eltern tun?

In ihrem Aufwachsen orientieren sich Kinder und Jugendliche an diversen Vorbildern. Dazu zählen Freund*innen, Verwandte wie Geschwister und Eltern, aber auch betreuende Fachkräfte aus dem Schul- und Freizeitbereich. Eltern und Fachkräfte können somit ihre eigene Vorbildfunktion nutzen, um Kindern und Jugendlichen vielfältige Geschlechterbilder vorzuleben und für Stereotype zu sensibilisieren. Weil sich die Lebenswelten von Heranwachsenden zu einem bedeutenden Teil ins Digitale verlagert haben, sollten Erziehende Interesse an der Mediennutzung ihrer Kinder zeigen und mit ihnen darüber konstant ins Gespräch gehen. Mögliche hilfreiche Fragestellungen hat die Initiative Klicksafe hier zusammengetragen.
Jüngere Heranwachsende benötigen zumeist mehr Betreuung und Kontrolle bei der Mediennutzung, älteren kann mehr Verantwortung übertragen werden. Es bietet sich an, bereits frühzeitig gemeinsam Mediennutzungsregeln zu vereinbaren, zum Beispiel in einem Mediennutzungsvertrag.
Nicht zuletzt bedarf es einer vertrauensvollen Beziehung zwischen dem Erwachsenen und dem Kind, damit sich Heranwachsende bei möglichen Fragen oder Problemen Fachkräften bzw. Eltern anvertrauen können. So können auf Social Media wahrgenommene antifeministische und maskulinistische Überzeugungen aufgefangen und gemeinsam reflektiert werden.
Sollten sich Heranwachsende lieber anonym an eine Beratungsstelle wenden wollen, so können sie dies unter anderem beim Peer-to-Peer-Beratungsangebot Juuuport tun.
Weitere Informationen zum Thema finden Eltern auch beim Medienratgeber Schau Hin!